Dienstag, 7. Mai 2013

Die Leiden des N.N. Oder: Über den Druck, sich als Vertriebler einen Namen zu machen.

Norman Nietzsche steht heute früher auf. Er hat fünf Kundentermine. Und Verkaufsdruck. Wie immer kurz vor Quartalsende, wenn alle noch mal ihre Prämie nach oben schrauben müssen. Apropos Schrauben. Die sind Normans Spezialgebiet. Er verkauft sie hauptsächlich an die Automobilindustrie und am liebsten in rosa Hemd und lila Krawatte. Norman glaubt, das wirke frisch und unkonventionell; dabei bestätigt er mit seiner Kleiderwahl nur das Klischee des Vertrieblers. Rolex, Markenschuhe, Nadelstreifen – für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance, meint Norman. Er liebt abgedroschene Phrasen und versucht sie möglichst oft in seinen Verkaufsgesprächen unterzubringen. Genau wie seine Religion: NLP. Mit Neurolinguistischem Programmieren will Norman seine Kunden dazu bringen, die aus seiner Sicht einzig richtige Kaufentscheidung zu treffen. Schrauben sind ja nicht gerade sexy. „Low Involvement“-Produkte heißen diese Waren auf Angeber-Deutsch, frei übersetzt „Interessiert-keine-alte-Sau“-Artikel. Da muss man sich beim Verkaufen schon richtig ins Zeug labern. Zum Glück gibt es genügend Vertriebs-Gurus, die sich nicht zieren, ihre vielfach bewährten Schwafelpraktiken (neudeutsch: Communication skills) mit den Kollegen zu teilen. Ganz uneigennützig werfen sie Ratgeber mit vielversprechenden Titeln wie „So überzeugen Sie jeden: Neue Strategien durch Verkaufshypnose“ oder „30 Minuten: Die NLP-Erfolgsgeheimnisse der Spitzenverkäufer“ auf den Buchmarkt. Norman kennt sie alle. Auswendig. Auch den einen oder anderen Autor durfte er schon treffen. Besonders beeindruckt war er von ihrer Fähigkeit, sich selbst zur Marke zu machen. Das hat er auch vor. Norman Nietzsche klingt ja schon mal nicht schlecht. Ein Dr. davor wäre allerdings noch eindrucksvoller. Aber so viel Anstrengung lohnt sich heutzutage nicht mehr. Wozu hat er schließlich einen zweiten Vornamen? Normen E. Nietzsche. Macht schon mehr her. Aber da geht noch was. Zum Beispiel mit einem Titel im Namen. Norman „Der Kundenflüsterer“ E. Nietzsche, so was schwebt ihm vor. Damit könnte er zum Star der Schrauben-Branche aufsteigen. Und dann würde auch er sein Wissen teilen. Auf Konferenzen wie Speakers Excellence oder der GSA. Junge Menschen würden zu ihm aufschauen. Und er müsste nicht mehr in aller Herrgottsfrühe aufstehen, die Prämie im Nacken, die sich um seine Kehle legt wie die lila Krawatte, die er jetzt so routiniert zu einem Four in Hand-Knoten bindet. Die er zuzieht, immer weiter und weiter zuzieht... bis er plötzlich gar nichts mehr spürt. Keinen Termindruck, keine Verkaufsvorgaben. Nur den flauschigen Teppich seines Hotelzimmers. Und unendliche Erleichterung.

2 Kommentare:

  1. Holla die Waldfee. Welchen Tee hast Du den da vorher getrunken. Eine unglaublich charmante Satire bis zum suiziden Ende. Trotzdem: Daumen hoch! (Auch wenn ich mir jetzt Sorgen um "139" machen muss)

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  2. Sehr toll geschrieben, Hut ab!

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